Quelle: https://medium.com/deutsch/9-ideen-die-analoge-von-digitalen-unternehmen-klauen-sollten-b69aa7f2e948
„Heute morgen saß ich beim Frisör. Irmgard ist die Inhaberin und führt den Laden mit einer Angestellten. Kahle Wände, funktionale Ausstattung, ein paar Haarbüschel liegen auf dem Boden. Nicht einladend. Aber nur 15 Meter von meiner Wohnung entfernt. Und günstig.
Ich betrachtete den schief hängenden Spiegel. Ich kam ins Grübeln.
Wie kann ein Frisörsalon erfolgreicher wirtschaften? Ich wollte nicht auf der ersten Lösungsebende denken. Beispiele für die erste Lösungsebene wären: Besseres Ambiente schaffen, freundlicherer Umgang, bessere Haarschnitte. Ich wollte eine Metaebende finden, aus der ich mir Lösungen „ziehen” kann.
Dazu führte ich mir digitale Geschäfte vor Augen: Amazon, Uber und GoButler. Kann man etwas von deren Ansätzen in die analoge Welt übertragen? Nicht theoretisch konzeptionell — sondern als ganz konkrete Umsetzung, mit der jeder schon morgen anfangen könnte?
Man kann. Und wie. Dazu braucht man nicht mal Apps.
Ob Frisör, KFZ-Betrieb, Einzelhändler, Reisebüro, Sportfachgeschäft, Restaurant oder die Schule. Beim Frühstück sind mir neun Ideen eingefallen, wie etablierte Branchen besser werden können. Einiges kann sicher schnell umgesetzt werden. Anderes weniger — aber vielleicht liefert auch eine unrealistische Idee Ansätze, um selber weiterzudenken?
Digitale Prinzipien zur Orientierung
Ich definierte vor dem Brainstorming noch ein paar willkürliche Prinzipien, die ich als Prinzipien von digitalen Geschäften wahrnehme. Das machte den Transfer in die analoge Welt einfacher.
Die Prinzipien lauten:
- Schnelligkeit
- 24/7 Service
- Bequemlichkeit
- Einfachheit
- Barrierefreiheit
9 Ideen, die analoge Unternehmen von digitalen klauen sollten
- Frisör: Mit einem Trick aus Gelegenheitskunden Stammkunden machen und Stammkunden noch stärker binden. Der Trick: Die Friseurfachkraft bietet jedem Kunden ein „Follow-Up” an: Die Friseurfachkraft ruft den Kunden — abhängig vom Haarschnitt — nach z.B. vier Wochen an. Darin erkundigt sie sich nach der Zufriedenheit und bietet schonmal den nächsten Termin an. Einerseits nimmt das dem Kunden Gedanken wie „ich müsste mal wieder zum Frisör”. Andererseits steigt die Auslastung des Salons und die Kundentreue erhöht sich automatisch. Digitales Vorbild: SwitchUp. Der Anbieter kümmert sich kostenlos darum, dass man sich über eigene Stromverträge keine Gedanken mehr machen muss. Man ist automatisch beim günstigsten (oder besten — z.B. wenn man 100% Öko-Strom haben möchte) Stromlieferanten.
- KFZ-Betrieb: Mehr Umsatz durch automatisierte E-Mails. KFZ-Betriebe, die in Ketten organisiert sind, verfügen über viele Daten zu Halter und Fahrzeug. Mir ist noch nicht bekannt, dass diese Daten strukturiert dazu genutzt werden, die Kunden besser zu beraten. So könnten zu bestimmten Ereignissen Erinnerungs-E-mails ausgelöst werden: Denken Sie an den Ölwechsel im Q3/2015; Denken Sie ans Check-Up des Motors nach 150.000km; Winterzeit: Zwei Terminvorschläge für Ihren Reifenwechsel; Der Kunde muss sich also weniger Gedanken um sein Auto machen. Das wirkt sich auch auf die Sicherheit aus. Digitales Vorbild: Ebenfalls SwitchUp und Ansätze von Concierges wie GoButler.
- Multimedia-Einzelhändler: Mehr Umsatz durch Querverkäufe. Die Einzelhändler stellen Schilder neben vielgekauften Produkten auf, worauf Empfehlungen stehen: „Kunden dieser Waschmaschine kauften auch diese Dämpfmatte — Sie finden Sie in Gang II Reihe D.” Die Berater in den Läden werden typischerweise auf Querverkäufe geschult, damit sie möglichst viel Umsatz generieren. Obige Aufsteller übernehmen diese Aufgabe teilweise. Kunden freuen sich, da es sich in der Tat um gute Empfehlungen handelt. Außerdem liegt die Entscheidungsgewalt stärker in der Hand des Kunden. Er ist dem Verkaufsberater weniger ausgesetzt. Ich persönlich meide Gespräche mit Beratern bei Einzelhändlern. Wenn ich doch mal mit ihnen spreche und etwas kaufe, habe ich das Gefühl, dass mir etwas verkauft worden ist. Vielleicht bin ich auch ein Einzelfall. Digitales Vorbild: Die Empfehlungen von Onlineshops wie Amazon.
- Multimedia-Einzelhändler: Potenziellen Kunden nicht zur Online-Konkurrenz gehen lassen. Bei Multimedia-Einzelhändlern wie Mediamarkt höre ich oft: „Hmm, die Waschmaschine ist echt gut. Aber zu teuer ist sie schon — dann schauen wir mal online.” Nachvollziehbar. Online sind die meisten Produkte meist günstiger. Für Einzelhändler sehr gefährlich. Auch hier kann ein einfacher Trick helfen: An jedem Produkt ab einem bestimmten Verkaufswert hängt eine Liste mit einem Kugelschreiber. Dort kann sich jeder mit seiner E-Mailadresse eintragen (keine Namen, das kostet Zeit und wirft Fragen des Datenschutzes auf; eine unnötige Hürde). Im Gegenzug erhält der potenzielle Kunde Infos, wenn der Preis fällt. Obendrauf gibt’s 3%, weil er sich in die Liste eingetragen hat. Wenn der Kauf nicht dringend ist, wartet der potentielle Kunde gerne. Und vielleicht überlegt er sich ja die 3% direkt zu nutzen? Der Einzelhändler behält so besseren Kontakt zum potenziellen Kunden. Digitales Vorbild: Viele Onlineshops bieten E-Mailnewsletter an. Wer sich eintrögt erhält Gutscheine oder kostenlose Produkte. Diese Disziplin heisst E-Mail-Marketing. Ich selbst nutze für meinen Blog auch eine Art Newsletter. Mein Ziel ist, dass ich mit meinen Lesern/innen in besseren Austausch komme und sie gerne und regelmäßig meine Artikel lesen.
- Einzelhändler allgemein: Verlässliche Info, wann vergriffenes Produkt wieder da ist. Wie oft passiert es, dass ein bestimmtes Hemd, ein Möbelstück oder ein Besteckset nicht mehr verfügbar ist? Gar nicht so oft oder? Und wenn doch, dann ist der Griff zum Shop in der Hosentasche nicht weit. Mitarbeiter können nicht immer valide weiterhelfen: „In einer bis drei Wochen haben wir sie wieder drin — vielleicht.” Wäre nicht eine wirklich verlässliche Info klasse? Das kann wie folgt funktionieren: Der Kunde scannt die Artikelnummer mit dem eigenen Smartphone ein und steuert direkt das Lagerverwaltungssystems des Einzelhändlers an. So erhält er genaue Infos ob, und wenn ja, wann das fehlende Produkt nachgeliefert wird. Größere Ketten könnten auch anzeigen, welche Schwesterfiliale das Produkt noch vorrätig hat — oder ob man es direkt eigenen Onlineshop kaufen möchte (Tschibo Prozente macht das vorbildlich).
- Reisebüro: Sich für Kunden unverzichtbar machen. Niemand braucht mehr ein Reisebüro. Jedenfalls wenn es um den reinen Buchungsvorgang geht. Verschiedene Onlineangebote helfen da weiter. Neben Traditionalisten könnten durch ein paar kleine Änderungen auch wieder mehr Onlinebucher zurück in die Reisebüros geholt werden. Zunächst sollten sich Reisebüros stark spezialisieren. Entweder auf bestimmte Länder und Regionen oder auf Urlaubsarten, wie z.B. Safaris, Familien- oder Abenteuerurlaube. Reiseberater bauen sich so ein enormes Spezialwissen auf, das sich auf die Preissensitivität der Kunden auswirkt. Das Ziel sollte sein, dass der Berater in jeder Fragestellung DER Experte ist. Ob Versicherungsfragen, Geheimtipps oder Weiterempfehlungen an andere Experten. In Konsequenz bedeutet das, dass der Berater während des Urlaubs auch als persönlicher Ansprechpartner für Probleme aller Art fungiert. Über eine kostenlose Nummer können Kunden während ihres Urlaubs bei ihm anrufen. Dadurch sind die Kunden immer auf der richtigen Seite und können sorgenfrei ihren Urlaub genießen. Digitales Vorbild: Online Concierges (s.o.).
- Sportfachhändler: Kundenbindung durch Vernetzung. Inhaber von Fachhändlern für Laufschuhe oder Outdoor genießen regional oft hohes Ansehen. Stammkunden kämen nicht auf die Idee online einzukaufen. Damit das so bleibt und auch Gelegenheitskäufer enger an den Shop gebunden werden, kann der Inhaber eine Community rund um den Laden aufbauen. Es kann ein informelles Onlineforum sein, zu dem nur seine Kunden Zugang haben und sich untereinander zu Fachfragen (Vorderfußlauf vs. Hackenfußlauf) austauschen können. Der Inhaber könnte alle acht Wochen für einen Abend einen Experten in den Shop einladen, der von seinen Erfahrungen berichtet. Ich hätte sofort noch 100 weitere Ideen. Die Richtung ist aber glaube ich klar. Digitales Vorbild: Shopping Clubs wie AmazonBuyVIP oder Brands4friends.
- Restaurant: Positionierung nicht als „Sattmacher” sondern als Dienstleister für Genuss. Konkret: Jeder Gast erhält zum Abschied das Rezept des verzehrten Gerichtes zum Nachkochen. „Warum verschenken? Das ist doch unser Geheimrezept. Wenn die Gäste das selber machen, dann kommt doch keiner mehr!” Die Denke ist leider falsch — aus Anbietersicht aber nachvollziehbar. Essen gehen ist ein Erlebnis. Die Nahrungsaufnahme ist nur ein Teil davon. Restaurants sollten sich als Dienstleister für Genuss positionieren. Selbst wenn Kunden die exakten Rezepte haben und nachkochen: Das Erlebnis ist nicht vergleichbar mit dem Restaurant. Keine Bedienung, ein anderes Ambiente, vielleicht auch nicht die genauen Zutaten, weil Safran nicht in jeder Küche liegt. Aber man wird das Rezept mit dem Logo des Restaurants steht’s vor Augen haben. Und beim nächstes mal lieber wieder das Original wählen. Digitales Vorbild: Viele Unternehmen, die im Bereich „Content-Marketing” unterwegs sind. Die Unternehmen verschenken viel von ihrem Know-How und helfen damit potenziellen Kunden. Das ermöglicht ihnen, den potenziellen Kunden später einfacher zu überzeugen, für andere Produkte Geld zu bezahlen. Das Unternehmen hat sich durch die hochwertigen kostenlosen Inhalte als Experte in einem bestimmten Bereich positioniert.
- Schulumfeld: Inputinhalte automatisieren, damit Lehrkräften mehr Vorbereitungszeit für anspruchsvolle Unterrichtskonzepte bleibt. Wie froh ich bin, dass ich schon lange aus der Schule bin. Ich wollte nie wieder was damit zu tun haben. Nunja. Meine Partnerin ist Grundschullehrerin. Und mittlerweile finde ich das System Schule ziemlich spannend — von außen betrachtet. Meine Idee könnte selbst in einer starren Struktur wie einer Schule funktionieren: Lehrer nehmen Unterrichtsstunden auf Video auf, die auf reiner Wissensvermittlung basieren. Dazu erstellen sie Arbeitszettel und Hausaufgaben. Die Schüler können sich die Inhalte ansehen und bearbeiten wann (leider noch nicht wo — Stichwort Schulpflicht) sie wollen. Die Schüler und Lehrer besprechen die Ergebnisse in der Folgestunde. Die Schüler lernen selbstständiger mit ihrer Zeit umzugehen. Die Lehrer investieren die gesparte Zeit in Unterrichtsstunden mit Kreativ- und Problemlösungsanteil. Digitales Vorbild: Online-Universitäten wie Coursera oder Udacity.
Zugegeben: Ich habe über mehrere Ecken gedacht. Dennoch interessiert mich eure Meinung. Kennt ihr weitere Beispiele? Seid ihr in einer der Branchen tätig? Was haltet ihr davon?
Auf Twitter gibt’s meine Tweets zu Lean Startup und New Work.
Mein Blog: www.the-new-worker.com
Aus Gründen der einfachen Lesbarkeit verwende ich meist die männliche Form (das liegt mir als Mann einfach näher). Selbstverständlich beziehe ich auch die Damen und andere Geschlechter mit ein.“
Spannend finde ich alle Vorschläge. Vor allem da sie meistens schnell und kostengünstig umgesetzt werden können.
Dein Interesse an Punkt 9 kann ich vollkommen nachvollziehen. Durch meine Freundin habe ich ebenfalls Einblick in die Grundschulen des Landes. Auch von außen. 😉 Dort sehe ich sehr häufig noch Verbesserungspotentiale, insbesondere wenn sie von den kleinen alltäglichen Problemen berichtet.